1. Wirtschafts- und Konjunkturkrise: Seit langem liegt Deutschland
auf einem der letzten Plätze beim Wachstum im Vergleich mit anderen europäischen
Staaten. Zum Vorwurf der "Wahllüge" erklärte Küchler, dass frühere
Vorhersagen alle auf wissenschaftlichen Aussagen beruhten, die sich
letztlich aber durchweg als falsch herausstellten. Die Prognosen hätten
teilweise zu falscher Sicherheit verleitet, alle Politiker hätten mit dem
Aufschwung gerechnet.
2. Soziale Sicherheitssysteme: Hier wurde der Fehler begangen, die
demografische Entwicklung nicht rechtzeitig genug ernst zu nehmen. Früher
waren es 3,8 Berufstätige, die einen Rentner ernährten, im Jahr 2030 wird
das Verhältnis 1:1 betragen. Die Zunahme der Arbeitslosigkeit und eine
Kostenexplosion im Gesundheitswesen verschärfen die Situation
zusätzlich.
3. Krise auf dem Arbeitsmarkt: Hier ist eine Reform der
Arbeitsverwaltung gefordert. Auch hier explodieren die Kosten und spitzt
sich die Situation insbesondere auch im Hinblick auf Ausbildungsplätze zu.
4. Staatsverschuldung: Das Versprechen, 2006 einen ausgeglichenen
Haushalt zu ermöglichen, ist nicht mehr erreichbar. Zumindest wurde
erreicht, die Rate der Neuverschuldung zu verringern. "Strafen" als Folge der
Maastricht-Verträge verschärfen die Problematik.
Alle genannten Krisen
sind untrennbar verwoben, so dass Eingriffe in einem Bereich, sich oft
negativ auf andere Bereiche auswirken. Wer zum Beispiel Lohnnebenkosten
senkt, muss in anderen Bereichen (Renten, Gesundheitswesen) sparen. Küchler warnte davor, alles
nur schwarz zu sehen. Denn weiterhin ist
Deutschland ein Wohlstandsland. Jetzt gelte es allerdings den Sozialstaat
"umzubauen" (nicht "abzubauen").
Geplante Maßnahmen im Rahmen der Agenda 2010 sind:
1. Bezug von Arbeitslosengeld: Reize zur Frühberentung müssen
verringert werden, was bedeutet, die Leistungszeiten zu verkürzen (auf 12
bzw. 18 Monate). Übergangszeit bis 2006. Gegen Ende des Jahrzehnts wird
sich die Situation ohnehin verschärfen, da dann vermehrt Menschen aus dem
aktiven Arbeitsleben ausscheiden. Die durchschnittliche Arbeitslosenzeit
beträgt 32 bis 33 Wochen, so dass wir eine ständige Fluktuation und nicht
überwiegend Dauerarbeitslose haben. Das Problem besteht vor allem darin,
dass mehr Arbeitsplätze abgebaut werden, als gleichzeitig neu entstehen. Es
ist daher falsch anzunehmen, dass die Mehrheit der Arbeitslosen "keine Chance
habe". Nicht zu vergessen sei, dass es auch Arbeitslose gibt, die gar
nicht mehr in Arbeit gehen sollen bzw. wollen.
2. Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe: Dies ist
der am meisten umstrittene Punkt. Beide genannten Leistungen werden aus
Steuern finanziert
(einerseits vom Bund, andererseits von den Kommunen). Vor allem die
Kommunen werden durch die geplante Zusammenlegung entlastet, so dass ihnen
Investitionen erleichtert werden. Von den erhofften Investitionen sollten vor allem
Mittelstandsbetriebe profitieren.
3. Außerdem sollen die Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen
verbessert werden. Nach wie vor ist das Investitionsniveau in
Deutschland hoch, allerdings sind die Spielräume gering. Der
Modernisierungsaufwand in Deutschland ist groß. Als Beispiel nannte
Küchler das marode Gleissystem der Bundesbahn.
4. Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation: Die Unternehmen
sollen dazu verpflichtet werden, für genügend Ausbildungsplätze bereit zu
stellen. Zur Zeit bildet weniger als ein Drittel der Unternehmen aus.
5. Handwerksbereich: Die Handwerksordnung soll reformiert
werden. Hier herrsche immer noch eine "mittelalterliche Zunftordnung",
meinte Küchler. Ausländische Firmen dürfen teilweise in Deutschland
bestimmte Leistungen
erbringen, die deutschen Unternehmen mangels Meisterbrief verschlossen
sind. So darf
Fliesenleger gleichsam nur bis zum Tapetenrand arbeiten, aber nicht mehr das
Tapezieren übernehmen. Langfristig soll nur noch ein Drittel der Gewerke
einen Meisterbrief erfordern (in der Regel Betriebe mit gefahrgeneigter
Arbeit). Auch ein Geselle, der sechs Jahr in führender Stellung tätig war,
soll künftig einen Betrieb führen und darin ausbilden können. So sollen
möglichst viele neue Existenzen gegründet werden. In diesem Zusammenhang
erwähnte Küchler weitere Maßnahmen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts
(wie die "Minijobs").
6. Kündigungsschutz: In Betrieben mit fünf Arbeitnehmern gibt es
heute keinen Kündigungsschutz. Die Einstellung einer weiteren Person
führt dazu, dass alle sechs Kündigungsschutz erhalten. Dies war ein
Einstellungshindernis und begünstigte Mehrarbeit. Künftig wird der Rahmen
nach oben erweitert.
Küchler kam auch auf Finanzierungsfragen im Gesundheitswesen zu
sprechen. Hier ist ein großes und buntes
Bündel von Maßnahmen geplant. Als Beispiel nannte er die Herausnahme des Krankengeldes
aus der Krankenversicherung. Er gab zu bedenken, dass es eine "Parität" bei der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall schon jetzt nicht gibt: Der Arbeitgeber zahlt in diesem
Fall alles.
Wie gerecht sind nun die erwähnten Maßnahmen? Es gab schon immer Unternehmen,
die sich ihrer Steuerpflicht entzogen, beschrieb Küchler die eine Seite
der Medaille. Andererseits werden 53,5 Prozent des gesamten
Steueraufkommens allein von jenen 10 Prozent der
Steuerpflichtigen gezahlt, die am höchsten besteuert werden. Besser
Verdienende haben sich also auch schon bislang kräftig an den Kosten des
Gemeinwohls beteiligt. Künftig sollen vor allem kleine und mittlere Einkommen entlastet
werden. Dadurch will man vor allem die Konsumzurückhaltung durchbrechen
.
Küchler stellte klar, dass er im Bundestag für die Agenda 2010 stimmen
wird. In der anschließenden engagierten Diskussion ging es u.a. um Fragen
wie: Verabschieden wir uns vom Sozialstaat ? Wie stimmig sind die
Vorschläge. Werden nicht einzelne Gruppen unberücksichtigt gelassen (wie
die Beamten)? Wie gut ist der Informationsfluss innerhalb der SPD? Gibt es
hier überhaupt noch eine "Streitkultur"? |