Zu sich
selbst stehen
Üben Sie (gegebenenfalls
in kleinen Schritten) auch dann öffentlich zu Ihrer Überzeugung zu
stehen, wenn Ihnen dies Nachteile bringen kann. Stehen Sie durch Ihre
eigene Person für die Werte ein, die Sie vertreten. Verhalten Sie sich
so, wie Sie tatsächlich empfinden („authentisch“).
„Einflüsterungen“ ignorieren
Innere – meist
abwertende - Stimmen der folgenden Art bremsen oft die Zivilcourage:
„Misch dich lieber nicht ein.“ „Weshalb solltest ausgerechnet du den
Kopf hinhalten?“ „Da kannst du ja doch nichts ausrichten.“ „Das ist doch
lächerlich zu meinen, meine Unterschrift könne etwas bewirken.“ Lernen
Sie, solche Stimmen zu erkennen und ihnen zu widerstehen.
Andere
wertschätzen und auf Gewalt verzichten
„Zivilcourage“ bedeutet,
sich „zivil“ - also friedlich – zu engagieren. Setzen Sie sich also
immer gewaltfrei auseinander. Verfallen Sie nicht in die Fehler
derjenigen, die Sie kritisieren. Respektieren Sie andere gerade auch
deswegen, weil diese anders denken und handeln als Sie selbst. Äußern
Sie sich so eindeutig wie möglich und argumentieren Sie vernünftig.
Entwickeln Sie Mitgefühl und Sympathie. Bleiben Sie in vernünftigem
Maße „besorgt“ und „betroffen“. Leisten Sie nicht „harte
Überzeugungsarbeit“, sondern überzeugen Sie, indem Sie zeigen, wie Sie
selbst denken, fühlen und handeln. Bleiben Sie lieber in einverständigem
Kontakt und streben Sie nicht nach Überlegenheit. Suchen Sie das
Miteinander (Kooperation) anstelle des Gegeneinander (Rivalisieren).
Kultivieren Sie Geduld und Hoffnung, ohne auf den „kleinen Widerstand“
zu verzichten.
Eingreifen,
wo Not am Mann oder an der Frau ist
Sensibilisieren Sie sich
für Situationen, in denen mutiges Eingreifen angezeigt ist. Das kann an
der Schlange eines Supermarkts sein, zum Beispiel wenn ein Ausländer
schlecht behandelt wird oder Kinder benachteiligt werden. Zeigen Sie,
dass Sie mit dem Vorfall nicht einverstanden sind und für ein anderes
Verhalten plädieren. Mischen Sie sich ein: Zögern Sie nicht, Täter
direkt anzusprechen, laut um Hilfe zu schreien, eine Notbremse zu
ziehen, die Polizei zu rufen, verbal einem Angegriffenen beizustehen,
Provokateure zum Aufhören aufzufordern und sich demonstrativ auf die
Seite der Angegriffenen zu stellen. Engagieren Sie sich immer dann, wenn
menschliche oder demokratische Werte bedroht sind. Setzen Sie sich auch
für die Lösung solcher Belange ein, die mittel- bis langfristig die
Menschheit bedrohen (wie Umweltprobleme, Kriege, Armut,
Arbeitslosigkeit, Atomkatastrophen, Gefahren der Globalisierung).
„Beteiligen“ Sie sich, statt zuzusehen (z.B. durch einen Bürgerantrag
oder ein Bürgerbegehren, Leserbriefe, Flugblätter, Teilnahme an
Demonstrationen).
Lebendig urteilen und sich kraftvoll
ausdrücken
Vermeiden Sie es, sich
auf die verschleiernde Sprache vieler Politiker einzulassen (wie
„thermische Verwertung“, „Freisetzung von Arbeitskräften“, „finaler
Rettungsschuss“ oder „sauberer Krieg“). Sagen Sie klar, worum es
wirklich geht (Müllverbrennung, Kündigungen, Tötung und gezielte
Vernichtung von Menschenleben).
Mut zum
Widerspruch entwickeln
Zivilcourage ist
untrennbar damit verbunden, deutlich für etwas einzutreten, etwas
aufzudecken oder sich klar gegen etwas zu stellen. Dies erfordert nicht
„Furchtlosigkeit“, sondern ist Folge erfolgreicher Auseinandersetzung
mit eigenen Ängsten. Bedenken Sie: Zivilcourage ist Ausdruck Ihrer
persönlichen Freiheit! Lassen Sie sich nicht von Konformitätsdruck
deformieren. Erkennen Sie Situationen, in denen problematische Vorgänge
so zerstückelt sind, dass der einzelne seinen Beitrag zum Gesamtproblem
nicht mehr überschauen kann. Sensibilisieren Sie sich für
„Doppelzüngigkeit“ und unlogisches Verhalten: Etwa wenn Lehrer
einerseits Ethik unterrichten, sich sonst aber nicht für die
entsprechenden Werte engagieren oder wenn Eltern ihre Kinder bei hohem
Ozongehalt von der Straße holen, im übrigen aber nichts für eine
Verbesserung der Luft unternehmen. Wagen Sie auch „Tapferkeit vor dem
Freund“, indem Sie auch den Ihren „klaren Wein“ einschütten. Riskieren
Sie, von den eigenen Freunden vielleicht nicht mehr akzeptiert zu
werden, wenn Sie sich mit Ihrer Meinung einmal „von der Herde
entfernen“. Vielleicht sind Sie ja nur die erste, die es wagt, das
auszusprechen, was alle denken. Bedenken Sie, dass selbst in der Bibel
die Menschheitsgeschichte mit einem Ungehorsam begann. Zuviel Gehorsam
könnte sie wieder beenden. Aber seien Sie nicht aus Prinzip
„ungehorsam“, sondern nur wenn wichtige Werte Sie dazu motivieren.
Bleiben Sie trotz aller Freiheitsliebe fähig, sich auch in Ordnungen
einzufügen (nicht zuletzt aus sozialen Erwägungen).
An
Zivilcourage wachsen
Zivilcourage lässt sich
in jedem Lebensalter entfalten. Sie trägt zur Entwicklung und Festigung
der eigenen Persönlichkeit bei, klärt und festigt innere Überzeugungen
und verhilft zu befriedigenden Beziehungen. Menschen mit Zivilcourage
haben sehr oft eine besondere Ausstrahlung. Zivilcourage hilft, man
selbst zu werden. Allerdings verliert man oft die Geborgenheit, die
durch Anpassung erkauft werden kann. Ändern Sie die Verhältnisse, indem
Sie sich selbst ändern. Haben Sie den Mut, auch die eigene Meinung
wieder zu ändern.
Sich
Sachkenntnis verschaffen
Um sich öffentlich und
wirksam für etwas einzusetzen, ist es unabdingbar, dass man über das
dafür notwendige Wissen verfügt. Verschaffen Sie sich dieses bereits im
Vorfeld Ihres Engagements. Wer bereits über Wissen verfügt, für den gilt
„Wissen macht verantwortlich“. Man sollte Wissen immer wie ein
„Eigentum“ betrachten, das laut Grundgesetz „verpflichtet“.
Sich echt
fühlen
Wagen Sie es, echt zu
sein, statt eine Rolle zu spielen oder für andere die Marionette
abzugeben. Lassen Sie sich wahrnehmen als der, der Sie sind, statt zu
taktieren. Seien Sie stolz darauf, einen „eigenen Sinn“ zu haben –
besonders dann, wenn man Ihnen dies als „Eigensinn“ vorwirft. Wahren Sie
die innere Einheit Ihrer Person und lösen Sie sich nicht in der anonymen
Menge auf. Teilen Sie Ihre Meinung klar mit und ersparen Sie es anderen,
diese erraten zu müssen. Verzichten Sie auf Rechtfertigungsreden.
Widerstehen Sie dem „Folgsamkeitsreflex“. Verfallen Sie nicht der
Scheinsicherheit und fraglichen Geborgenheit, die sich durch eine
Selbst-Aufgabe bzw. übermäßige Anpassung scheinbar erkaufen lassen.
Ertragen Sie die Spannung, die es kostet, sich der Uniformierung zu
widersetzen. Erkennen Sie die Verlockung, die darin liegt, an der Macht
derjenigen teilzuhaben, denen man sich unterordnet.
Innere
Konflikte spüren
Freuen Sie sich, wenn
Sie einen inneren Konflikt (möglicherweise auch Schuldgefühle)
verspüren. Viele Menschen sind dazu nicht mehr in der Lage, weil sie
sich frühzeitig angepasst und dabei eigene Bedürfnisse völlig aufgegeben
haben. In ihnen gibt es keine inneren Stimmen (individuelle Meinungen)
mehr, die zu Konflikten, Auflehnung oder Auseinandersetzung ermuntern
könnten. Legen Sie sich kein „dickes Fell“ zu, sondern bleiben Sie
lieber „empfindungsfähig“. Unterdrücken Sie nicht aggressive Regungen
wie Zorn, Abscheu und Entsetzen, sondern nutzen Sie die Energien
konstruktiv: Greifen Sie an, ohne persönlich zu verletzen. Streiten Sie,
aber lassen Sie dabei die Beziehung nicht abbrechen. Argumentieren Sie
sachbezogen. Machen Sie Vorschläge, die neue Handlungsmöglichkeiten
aufzeigen. Verändern Sie selbst die kritisierten Zustände, wo Ihnen dies
möglich ist.
Sich mit den
eigenen Ängsten auseinandersetzen
Es wäre ungewöhnlich,
wenn Sie trotz aller Zivilcourage vor manchen Situationen keine flauen
Gefühle im Magen hätten. Es ist sinnvoll, diesen Gefühlen nicht
auszuweichen. Sonst droht die Gefahr, dass Sie angesichts unerwartet
großer Angst hilflos und handlungsunfähig werden. Stellen Sie sich also
kritische Situationen plastisch vor Augen vor und achten Sie darauf, was
Sie dann genau fühlen und welche inneren Kommentare plötzlich vernehmbar
sind. Indem Sie sich bewusst Ihrer Angst stellen, erfahren Sie
frühzeitig, an welchen Punkten Sie vorsorglich noch arbeiten müssen.
Stellen Sie sich in einem weiteren Schritt vor, wie Sie die Situation
konstruktiv bewältigen und zu einem guten Ende führen. In aller Regel
wird dies gelingen, wenn Sie selbst aktiv Einfluss nehmen
(beispielsweise indem Sie sich in einer Auseinandersetzung nicht
befragen lassen, sondern selbst das Gespräch steuern). Stellen Sie sich
insbesondere vor, wie bzw. mit welchen Strategien dies funktionieren
kann. Sie trotz Angst erfolgreich handeln. Riskieren Sie schließlich
noch ein weiteres Gedankenexperiment: Lassen Sie genau die Dinge in
Ihrer Phantasie geschehen, die Sie am meisten fürchten. Tasten Sie sich
an die vermeintliche oder reale Katastrophe sorgfältig heran.
Wahrscheinlich gelingt es Ihnen, sie in der Phantasie zu durchleben.
Indem Sie sich den katastrophalen Ausgang vorstellen, üben Sie zugleich,
in solchen Situationen trotzdem bei sich selbst zu bleiben und das
Geschehen weiterhin zu beeinflussen. Sie beugen der Gefahr vor,
gegebenenfalls in kindliche Ohnmacht zu verfallen oder sich in
Selbstmitleid hineinzusteigern. Außerdem ist das Ausphantasieren auch
eine nützliche Form der Realitätskontrolle: Oft stellt sich so heraus,
dass die „schlimmstmöglichen Folgen“ letztlich doch nicht so dramatisch
sind.
Für Eltern:
Kinder zu Zivilcourage anleiten
Um bei Kindern
Widerstandskraft und Selbstbestimmung zu entwickeln, sollte man sie
nicht einseitig „verwöhnen“. Räumen Sie Ihren Kindern nicht zu viele
Schwierigkeiten aus dem Weg, sondern unterstützen Sie diese dabei,
Widerstände zu bewältigen. Ermutigen Sie Ihre Kinder, auch einmal „nein“
zu sagen, indem Sie selbst vorleben, wie man überlegt „ja“ und „nein“
ausspricht. Zeigen Sie sich beispielhaft als ein Mensch mit eigenen
Wünschen, der selbstständig denkt und fühlt. Räumen Sie Ihren Kindern
Möglichkeiten zu selbstbestimmten Handeln ein, da dies das Erleben von
„Wirksamkeit in der Welt“ vermittelt und gleichzeitig zur Übernahme von
Verantwortung einlädt. Setzen Sie aber auch Grenzen, um Ihren Kindern so
Halt zu vermitteln. Üben Sie mit Ihren Kindern „gute Gewohnheiten“ ein.
Ermutigen Sie die Kinder dazu, sich selbst Grenzen zu setzen (etwa im
Hinblick auf Bequemlichkeit, maßlose Wünsche, falschen Ehrgeiz,
habsüchtiges Begehren). Loben Sie Ihre Kinder auch einmal, wenn diese
sich widersetzen und ihren eigenen Weg gehen.
Seien Sie stolz, wenn
Ihre Kinder nicht allzu „stromlinienförmig“ sind.
Zivilcourage „schulen“
Setzen Sie sich für ein
Schulsystem ein, in denen sich Kinder offen auseinandersetzen, ihre
Meinung vertreten und ihr persönliches Potential entfalten können.
Verhindern Sie, dass Schulen zu „Anpassungsschmieden“ und „Übungsstätten
für Kadavergehorsam“ verkommen, dass man Kinder einfach „sitzen lässt“
(statt sie aufzufangen), dass man sie durch unangekündigte Prüfungen in
Schrecken hält oder durch „gerechte Benotung“ ihr Selbstwertgefühl
zerstört. Motivieren Sie Lehrer dazu, Gebote zu begründen, Unterricht
individuell zu gestalten und Kinder nicht auszulachen. Lehrer sollten
die ihnen anvertrauten vor Beschämung schützen, Arbeiten eines Schülers
nicht ohne dessen Einverständnis öffentlich vorzulesen oder ihn gegen
seinen Willen an der Tafel etwas vorführen lassen. Es ist wichtig, dass
Lehrer Klassen zu einem achtungsvollen Miteinander anhalten und Schüler
individuell benoten (und nicht nach einer vorgeschriebenen
„Normalverteilung“). Schüler sollten erfahren, dass sie auch „nein“
sagen dürfen und dass es nicht gleichgültig ist, ob sie sich am
Unterricht beteiligen oder nicht. Arbeiten Sie mit daran, dass Schüler
nicht als leeres Blatt betrachtet werden, auf welches die Gesellschaft
ihre Anweisungen schreiben kann. Ermöglichen Sie, dass Schule zu einem
„Sprungbrett“ und nicht zu einer „Prüfanstalt“ für das weitere Leben
wird.
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